Aus dem Reisebericht 2002 von Aktion Wasserbüffel e.V.

Die Aëtas, Ureinwohner vom Pinatubo

ELF – Erziehung fürs Leben

Um sechs Uhr morgens brechen wir von unserem Hotel Danarra in Quezon City auf, um die Aëta-Gemeinschaft in Botolan, Provinz Zambales, zu besuchen. Die Aëtas sind die eigentlichen Ureinwohner der Philippinen, kleiner und dunkelhäutiger als die Mehrheitsfilipinos, und sind verwandt mit den australischen Aborigines. Sie sind eine weitgehend diskriminierte Minderheit. Die Entfernung nach Botolan ist etwa 150 Kilometer. Wir fahren im Kleinbus der Organisation ELF, das ist die Abkürzung für "Erziehung fürs Leben". Es ist eine Nichtregierungsorganisation für Erwachsenenbildung, die von Edicio (Ed) dela Torre (Bild), dem früheren Priester, kommunistischen Revolutionär und später Staatssekretär im Erziehungsministerium unter dem Präsidenten Estrada gegründet worden ist. Sie dient vor allem der Erziehung zu demokratischen Führungsstrukturen an der Basis. Grassroots Leadership Courses, nennt Ed das und bietet es vor allem Gemeinschaften an.

Unter anderem ist ein solcher Kurs für die Aëta-Gemeinschaft in Botolan geplant. Allerdings gibt es auch andere Themen bis hin zur Vermittlung von elementaren Kenntnissen und Fähigkeiten im Bereich der Gesundheitserziehung und Naturmedizin. Die Organisation ELF versteht sich als eine Art privater Volkshochschule. Sie hat sich die europäische Volkshochschulbewegung zum Vorbild genommen und da vor allem die dänische mit ihrem Gründer Grundtvig. Ed, der im vergangen Jahr in Deutschland und bei uns in Jülich war, hatte kurzfristig einen Termin und konnte uns nicht begleiten. Er schickte seine Mitarbeiterin Maria Criselda (Dada) Peñaverde, die eine perfekte Führerin und Dolmetscherin für uns ist. Nach etwa drei Stunden Fahrt taucht die Silhouette des Berglandes von Bataan auf, in dem sich auch das Massiv des Pinatubo befindet. In Dinalupihan machen wir in einem Privathaus Frühstückspause. Hier wohnt Naome David, die erste Absolventin von ELF Anfang der 90er Jahre. Sie ist außerdem, wie sich später herausstellt, eine hervorragende Heilkundige und perfekt in der Reflexzonenmassage. Sie fährt mit uns nach Botolan.

Die Aëta-Gemeinschaft LAKAS-Bihawo in Zambales

In Botolan, in der Gemeinde Bihawo, werden wir von Carlito Domulot, genannt Carling, dem gewählten Sprecher der Aëta-Gemeinschaft LAKAS-Bihawo, empfangen. Zunächst irritiert uns die Bekleidung der Männer, die nur aus ihrem traditionellen Lendenschurz, dem Bahag besteht, der auf der Rückseite von der Breite eines Stricks ist. Aber im Verlauf des Gesprächs verschwindet dieser befremdliche Eindruck hinter den lebendigen, freundlichen Persönlichkeiten der Aëtas. Man sieht es einfach nicht mehr.

Wir werden zunächst in traditioneller Gastfreundschaft zum Essen eingeladen. Es gibt Reis und Hühnchen auf Bananenblättern, gebackene Bananen und eine Süßspeise aus Reis und Kokosmilch. Es fällt uns auf, dass Männer und Frauen nach dem Essen selbstverständlich gemeinsam abräumen. Bei den Aëtas sind Frauen und Männer von ihrer Tradition her gleichberechtigt. Das Dorf hat 600 Einwohner. Es ist ein Umsiedelungsgebiet von etwa 100 Hektar. Die Aëtas haben es 1991 nach dem Ausbruch des Vulkans Pinatubo mit Hilfe von Franziskanerinnen gekauft, als sie ihr traditionelles Gebiet verlassen mussten. Auch die sozialen Strukturen im Dorf sind traditionell demokratisch. Der Sprecher ist gewählt, und zwar nicht auf Lebenszeit. Auch das ist Tradition. Insgesamt leben im Pinatubo-Gebiet noch 65000 Aëtas. Das Land ihrer Vorfahren am Pinatubo wurde ihnen zugesprochen. Es sind insgesamt über 220000 Hektar. Aber sie können es nicht bewohnen, da es teilweise noch nicht abgekühlt und vielfach mit Vulkanasche bedeckt ist. Dennoch wollen sie zurück gehen, sobald es möglich ist. Sie fühlen sich wie Fische, die aus ihrer natürlichen Umgebung in ein lebensfeindliches Gewässer verpflanzt wurden.

Beim Gang durch Bihawo fällt auf, wie sauber und müllfrei das Dorf ist, im Gegensatz zu den meisten philippinischen Gemeinden. Das Gelände, das 1991 noch kahl war, ist mit Bäumen bestanden. Eine Baumschule in eigener Regie liefert Nachwuchs, auch an fruchttragenden Bäumen wie Mango, Jackfrucht, Lanzones und Cashews. "Wir holen die Jungpflanzen aus unserem alten Siedelungsgebiet am Pinatubo, so haben wir eine Heimatverbindung", meint Carling. Tradition ist das, was die Aëta-Gemeinschaft zusammen hält. Das zeigt sich auch bei den rituellen Tänzen (Bild), die Kinder und Jugendliche uns zu Ehren später vorführen. Viele davon sind traditionelle Tanzfiguren, die das Verhalten von Tieren ihres Lebensraumes nachahmen.

Auch Naturgeister spielen in ihrem Denken eine wesentliche Rolle. Für sie ist es kein Widerspruch zu ihrem katholischen Glauben. "Apo Namalyari", Oberste Macht, nennen sie ihren Gott. "Wir möchten von der modernen Zeit das nutzen, was uns nützt, ohne unsere Tradition und Kultur zu zerstören", meinen vor allem die Jugendlichen im Gespräch mit uns. Natürlich üben gerade die modernen Massenmedien einen starken Einfluss aus. Die Jugendlichen erklären, dass sie sich hier freiwillige Selbstbeschränkung auferlegen. Sie spüren den Sog der seelenlosen Fernsehkultur. Sie brauchen aber ihre Traditionen, um ihre Würde zu bewahren. Sie haben sie Jahrhunderte lang in der Zeit der spanischen Kolonisation bewahrt.

In der Zeit des Kriegrechtes unter dem Diktator Marcos hatten die Aëtas unter Menschenrechtsverletzungen zu leiden. Durch die Militäroperationen in dem unwegsamen Berggelände des Pinatubo gegen die aufständische kommunistische Neue Volksarmee NPA wurden sie in Mitleidenschaft gezogen. Sie wurden auch verdächtigt, die NPA zu unterstützen.

Interessieren tun sie sich auch für unsere Traditionen und Werte. Alle Aëtas legen großen Wert auf Erziehung und Ausbildung. Sie haben schon vor mehreren Jahren nach dem Modell von Paolo Freire Kurse gemeinsam mit den Franziskanerschwestern eingeführt, wobei die Erwachsenen auch an Themen, die für sie wichtig waren, Lesen und Schreiben lernten. "Wir können in der Mehrheitskultur nur als Volk überleben, wenn wir lernen, unsere Rechte wahrzunehmen", meint Carling. Sie möchten auch einen mehrwöchigen Kurs von ELF zur besseren Kenntnis ihrer demokratischen Rechte und Mitwirkung als Gemeinschaft belegen, aber zur Zeit laufen die Bemühungen nach Spenderorganisationenn, die diesen Kurs bezahlen. ELF ist eine große professionell arbeitende Organisation, die nicht umsonst arbeiten kann. Die Aëtas möchten nicht einfach westliche Werte vermittelt bekommen. Sie möchten eine Ausbildung, die ihrer Kultur Rechnung trägt. Und die ist zumindest friedfertig und kommunikativ, auf gegenseitige Hilfe aufgebaut. Man könnte viel von ihrer friedfertigen Würde lernen. Vor dem Abschied werden wir wieder mit selbstverständlicher Gastfreundschaft bewirtet. Wir haben auch Gelegenheit, uns ihre Naturmedizinen auf Kräuterbasis anzusehen und auch einige zu kaufen. Pharmazeutische Fabriken haben schon von diesem Wissen ihrer Ahnen profitiert. Als Gastgeschenk übergeben wir einen Geldbetrag zum Ausbau ihres Gemeinschaftshauses.

Subic Bay

Auf unserer Rückfahrt überqueren wir den Bucao-Fluss, der direkt vom Pinatubo kommt. Über einige hundert Meter Breite sind Flussbett und Überlaufgebiet mit meterhohen grauen Schlamm- und Staubmassen ausgekleidet, die noch vom Ausbruch des Pinatubo her rühren Der weitere Weg führt an Subic Bay vorbei, dem ehemaligen größten Marinestützpunkt der USA in Asien. Die Wohnhäuser der amerikanischen Soldaten sind auffällig solide und luxuriös gebaut und passen fast nicht in die Umgebung. Nahebei passieren wir ein interessantes touristisches Ziel, eine kahle Baumgruppe, an der Tausende Fledermäuse oder fliegender Hunde hängen wie reife Früchte.
Subic Bay und die umliegenden Ortschaften um die amerikanischen Garnisonen von Olangapo bis hin zu Angeles waren das Zentrum der Vergnügungsindustrie und Prostitution. Jetzt ist dort eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet worden. Der Weg entlang der Küste von Subic Bay gibt den Blick auf landschaftlich schöne Ausblicke frei (Bild). Wie lange die 2000 US-amerikanischen Soldaten hier bleiben, die im April zu gemeinsamen Manövern mit der philippinischen Armee in Subic Bay eingetroffen sind, wird sich zeigen. Die Prostituierten jedenfalls haben sich schon wieder nach Zeitungsberichten darauf eingerichtet.

Leider ist es so spät geworden, dass in Olangapo der geplante Besuch in PREDA, der Einrichtung für die soziale Eingliederung der Prostituierten und Zentrum für den Kampf gegen die Kinderprostitution, des irischen Priesters Shay Cullen entfallen muss. Er hat vor zwei Jahren den Menschenrechtspreis der Stadt Weimar erhalten. Um elf Uhr abends treffen wir mit vielen neuen Eindrücken beladen in unserem Hotel ein.